Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs führen zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Schweiz. Die Erhöhung der Steuern und die allgemeine Teuerung lasten schwer auf der Bevölkerung. Wohltätige Einrichtungen haben mit grossen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor diesem Hintergrund geben Vertreter von Behindertenwerken, Direktoren von Anstalten, Ärzte und Politiker den…
Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs führen zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Schweiz. Die Erhöhung der Steuern und die allgemeine Teuerung lasten schwer auf der Bevölkerung. Wohltätige Einrichtungen haben mit grossen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor diesem Hintergrund geben Vertreter von Behindertenwerken, Direktoren von Anstalten, Ärzte und Politiker den Startschuss zur Gründung der Schweizerischen Vereinigung für Anormale (SVfA), wie Pro Infirmis anfänglich heisst. Im Oktober 1919 richten sie sich mit einem Arbeitsprogramm an die grossen politischen Parteien der Schweiz. Sie fordern die Erarbeitung von Rechtsgrundlagen für Massnahmen zugunsten von Menschen mit Behinderung.
Am 17. Januar 1920 wird in Baden ein Initiativkomitee zur Gründung einer nationalen Vereinigung gebildet. Am 31. Januar 1920 wird die Schweizerische Vereinigung für Anormale (SVfA) an ihrer ersten Generalversammlung in Olten ins Leben gerufen. 39 Vertreter von 41 Institutionen und Verbänden der Behindertenhilfe nehmen an der Versammlung teil.
Die Gründungsmitglieder der SVfA im Jahr 1920:
- der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen, gegründet 1903;
- der Schweizerische Fürsorgeverein für Taubstumme, gegründet 1911 (später: Schweizerischer Verband für Gehörlose SVG); er umfasst auch die Société romande en faveur des sourds-muets und die Société romande pour la lutte contre les effets de la surdité, gegründet 1917;
- die Schweizerische Gesellschaft für Erziehung und Pflege Geistesschwacher, gegründet 1889 bzw. 1916 (später: Schweizerische Heilpädagogische Gesellschaft SHG);
- der Schweizerische Verband für Krüppelhafte, Vorläufer des 1929 gegründeten Schweizerischen Verbandes für Krüppelfürsorge (später: Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Körperbehinderte SAK).
Während der ersten 15 Jahre befindet sich das Deutschschweizer Sekretariat der SVfA an der Kantonsschulstrasse 1 in Zürich. An der gleichen Adresse ist auch das Heilpädagogische Seminar Zürich zu finden, mit dem die SVfA sich die Räumlichkeiten und das Personal teilt. Das Institut Jean-Jacques Rousseau in Genf übernimmt bis 1935 die Funktion des Westschweizer Sekretariats der SVfA.
Die neue Vereinigung hat zwei Ziele: Sie unterstützt Vereine und Institutionen, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzen gegenüber den Behörden und der Bevölkerung und kommt den Betroffenen direkt zur Hilfe. Der erste Jahresbericht der SVfA nennt als Hauptaufgabe die Förderung der Subventionierung von Dienstleistungen zugunsten von Menschen mit Behinderung durch Bund und Kantone.
In den 1920er Jahren wird ein Grossteil der Arbeitskräfte der SVfA sowie anderer Institutionen zur Bekämpfung der finanziellen Notlage eingesetzt. Die SVfA bemüht sich zudem, landesweit Statistiken über Menschen mit Behinderung zu erheben. Sie will damit ihre Forderungen gegenüber den Behörden untermauern, Entscheidungsgrundlagen bereitstellen und Subventionsanträge begründen. Dieses Vorhaben erweist sich allerdings als schwierig: Zahlreiche Institutionen führen keine Statistiken und die erhobenen Zahlen hängen stark von der Definition der Behinderungsarten ab, die von Institution zu Institution unterschiedlich sind.
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