Vorzeitige Pensionierung

Erschwert eine gesundheitliche Beeinträchtigung die bisherige berufliche Tätigkeit erheblich und steht die betroffene Person bereits kurz vor dem AHV-Rentenalter, so wird oft von den Arbeitgebenden als Alternative zu einer IV-Anmeldung die Möglichkeit einer vorzeitigen Pensionierung, d.h. eines vorzeitigen Bezugs von Altersleistungen, ins Spiel gebracht.  

In diesem Kapitel werden die Voraussetzungen für den vorzeitigen Bezug der Altersrente sowohl in der AHV wie auch in der beruflichen Vorsorge dargelegt, und es werden die damit verbundenen Vor- und Nachteile beschrieben. Wichtig zu wissen: Die am 1. Januar 2024 in Kraft getretene Reform der AHV (AHV 21) beinhaltet eine grössere Flexibilisierung des vorzeitigen Bezugs der Altersrente.


    Vorzeitiger Bezug der AHV-Rente

    Mit dem Inkrafttreten der AHV 21 per 1. Januar 2024 wurde das Referenzalter zum Bezug einer ordentlichen AHV-Rente für Frauen schrittweise an dasjenige für Männer angeglichen. Die schrittweise Angleichung betrifft Frauen mit Jahrgang 1961 bis 1963. Für Frauen ab Jahrgang 1964 beträgt das Referenzalter dann bereits 65 Jahre. Dies bedeutet, dass ab 2028 für Frauen und Männer ein einheitliches Referenzalter von 65 Jahren gilt; sowohl in der AHV also auch in der beruflichen Vorsorge.

    Ein Vorbezug der AHV-Rente ist ab 63 Jahren möglich und kann sowohl monatsweise (z.B. mit 64 Jahren und 4 Monaten) also auch anteilsmässig (zwischen 20% und 80%) erfolgen. Der Vorbezugsanteil kann einmal erhöht werden, danach muss der verbleibende Rententeil ganz bezogen werden. Während der Dauer des Vorbezugs werden keine Kinderrenten ausgerichtet. Ein Vorbezug der AHV-Rente ist mit dem Nachteil einer lebenslänglichen Kürzung verbunden, die dem Vorbezugsmonat und dem Vorbezugsanteil entspricht. Für Frauen der Ausgleichsmassnahmen (Jahrgänge 1961-1969) gelten spezielle Bedingungen, auf die nachgehend aber nicht eingegangen werden kann. Nähere Informationen zu den Ausgleichsmassnahmen für Frauen der Übergangsgeneration findet man auf der Webseite des Bundesamtes für Sozialversicherungen.

    Wer die AHV-Rente ganz oder teilweise vorbeziehen will, muss eine entsprechende Anmeldung einreichen. Diese sollte etwa drei bis vier Monate vor dem gewünschten Rentenbeginn eingereicht werden und muss spätestens am letzten Tag des Vormonats erfolgen. Wichtig zu wissen: Die Auszahlung der vorbezogenen AHV-Rente ist frühestens ab dem Folgemonat der Anmeldung möglich. Eine rückwirkende Anmeldung ist ausgeschlossen. Wer z.B. am 15. August 64 Jahre alt wird und anschliessend die AHV-Rente beziehen will, muss die Anmeldung spätestens am 31. August eingereicht haben.

    Auch nach dem Vorbezug der AHV-Rente muss eine Person bis zum Erreichen des ordentlichen Referenzalters von 65 Jahren weiterhin AHV/IV-Beiträge bezahlen. Wer kein Erwerbseinkommen mehr von rund 5'000 Franken im Jahr erzielt, wird als nichterwerbstätige Person beitragspflichtig. Nur wenn der Ehegatte als erwerbstätige Person noch mindestens das Doppelte der Mindestbeiträge leistet, müssen keine eigenen Beiträge entrichtet werden.

    Wer eine AHV-Rente vorbezieht und in bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebt, hat Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Die mit dem Vorbezug verbundene Kürzung der AHV-Rente kann damit aufgefangen werden, denn bei der EL-Berechnung wird nur die gekürzte Rente als anrechenbares Einkommen berücksichtigt. Aber: Die Ergänzungsleistungen gleichen nur eine gekürzte, nicht auch eine nur anteilsmässig bezogene AHV-Rente aus. Wer also nur einen Anteil seiner AHV-Rente vorbezieht und sich für den Bezug von Ergänzungsleistungen anmeldet, dem wird bei der EL-Berechnung der Betrag einer ganzen vorbezogenen AHV-Rente als anrechenbares Einkommen anrechnet.

    Beispiel

    Herr S kämpft mit zunehmenden gesundheitlichen Problemen am Arbeitsplatz. Er will sich aber unter keinen Umständen bei der IV anmelden. Dafür entschliesst er sich, die AHV-Rente mit 63 Jahren ganz vorzubeziehen, und meldet sich drei Monate vor seinem 63. Geburtstag bei seiner Ausgleichskasse hierfür an.
    Herr S ist sich bewusst, dass seine AHV-Rente als Folge des Vorbezugs gekürzt wird. Er kann dies in Kauf nehmen, weil seine AHV-Rente und die sehr kleine Altersrente der Pensionskasse ohnehin den Existenzbedarf nicht decken. Sobald Herr S die AHV-Rentenverfügung erhalten hat, wird er deshalb ein Gesuch um Ergänzungsleistungen stellen können.

    Wer die AHV-Rente nicht nur anteilsmässig sondern ganz vorzeitig bezieht, muss sich bewusst sein, dass dieser Entscheid auch Folgen für den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung sowie auf Hilfsmittel hat: Sobald eine AHV-Rente nicht nur anteilsmässig sondern ganz (vor)bezogen wird, unterliegt die betreffende Person den Regeln des AHV-Gesetzes und nicht mehr jenen des IV-Gesetzes: Tritt nach dem Vorbezug einer ganzen AHV-Rente eine Hilflosigkeit ein oder benötigt eine Person nach dem Vorbezug erstmals ein bestimmtes Hilfsmittel, so bestimmt sich ein allfälliger Anspruch nach den wesentlich restriktiveren AHV-Regeln.

    Vorzeitiger Bezug der Altersrente aus beruflicher Vorsorge

    Seit dem 1. Januar 2024 sind auch die Pensionskassen gesetzlich verpflichtet, den vorzeitigen Bezug der Altersrente anzubieten. Wie bei der AHV ist auch in der beruflichen Vorsorge ein Vorbezug der Altersrente ab 63 Jahren möglich. In ihren Reglementen können die Pensionskassen den Altersrücktritt aber auch schon früher vorsehen, z.B. ab 60 Jahren.

    Die Altersrente kann wie bei der AHV sowohl monatsweise (z.B. mit 64 Jahren und 4 Monaten) also auch anteilsmässig erfolgen. Die Pensionskassen müssen den Vorbezug in mindestens drei Schritten anbieten, wobei der erste Anteil der Altersleistung mindestens 20% betragen muss. Das Gesetz sieht zudem vor, dass die Pensionskassen in ihren Reglementen hiervon abweichen und somit über die gesetzliche Minimalregelung hinausgehen können: So können sie in ihren Reglementen auch mehr als drei Schritte oder einen tieferen Mindestanteil vorsehen.

    Beispiel

    Herr W hat aus gesundheitlichen Gründen zunehmend Mühe, seine bisherige 100%-Tätigkeit in der Schreinerei X zu absolvieren. Er erkundigt sich im Alter von 62 Jahren bei seinem Arbeitgeber, ob eine Reduktion des Pensums auf 50% möglich wäre. Der Arbeitgeber ist damit einverstanden.
    Die Pensionskasse der Firma X sieht die Möglichkeit einer Teilpensionierung ab 60 Jahren vor. Herr W erhält deshalb vorzeitig eine halbe Altersrente von der Pensionskasse. Dadurch erfährt seine Altersrente aus beruflicher Vorsorge zwar ebenfalls eine Kürzung, sie fällt aber nicht so gravierend aus wie bei einer Vollpensionierung mit 62 Jahren.

    Der vorzeitige Bezug einer Altersrente aus beruflicher Vorsorge führt immer zu einer erheblichen lebenslänglichen Reduktion der Altersrente. Die Kürzung ist nicht immer gleich hoch, liegt jedoch häufig zwischen 5% und 7% pro Vorbezugsjahr. Einzelne Pensionskassen bieten für Versicherte, die vor dem ordentlichen AHV-Alter in Pension gehen, auch zeitlich limitierte Überbrückungszuschüsse (als Ersatz für die fehlende AHV-Rente) an. Wenn diese Überbrückungszuschüsse nicht vom Arbeitgeber finanziert werden, müssen sie von der versicherten Person selber finanziert werden, indem die Altersrente zusätzlich (entweder von Beginn weg oder ab Eintritt ins ordentliche AHV-Alter) gekürzt wird.

    Beispiel

    Frau H kann ihre beruflichen Aufgaben aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Zufriedenheit des Arbeitgebers erfüllen, weshalb er ihr das Arbeitsverhältnis kündigt. Frau H wird bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 60 Jahre und 10 Monate alt sein. Der Arbeitgeber macht seine Mitarbeiterin darauf aufmerksam, dass sie gemäss dem Reglement der Pensionskasse bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorzeitig pensioniert werde; ihre monatliche Altersrente betrage 700 Franken.
    Da Frau H über keine Vermögensreserven verfügt und mit einer solchen Rente nicht leben kann, erkundigt sie sich, ob die Pensionskasse einen Überbrückungszuschuss gewährt. Dies ist leider nicht der Fall. Frau H wird sich deshalb bei der Arbeitslosenversicherung anmelden müssen. Sie wird von dieser ein Taggeld erhalten, von dem allerdings der Betrag der Altersrente (700 Franken) abgezogen wird. Sobald sie 63-jährig ist, kann sie die AHV-Rente vorbeziehen und sich dann auch für den Bezug von Ergänzungsleistungen anmelden.

    Wird ein Arbeitsverhältnis in einem Alter beendet, in welchem gemäss Reglement der Pensionskasse der Vorbezug der Altersrente bereits möglich ist, will aber die betroffene Person noch nicht in den Ruhestand treten, sondern an einem anderen Ort die Erwerbstätigkeit weiterführen, so darf sie an Stelle des Vorbezugs der Altersrente eine Austrittsleistung beanspruchen. Diese Austrittsleistung entspricht ihrem Altersguthaben und ist an die Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers zu überweisen. Dasselbe gilt, wenn sich eine Person nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als arbeitslos meldet. In diesem Fall kann die Austrittsleistung auf ein Freizügigkeitskonto überwiesen werden.

    Zudem haben Personen ab dem 58. Altersjahr die Möglichkeit, bei ihrer bisherigen Pensionskasse weiterversichert zu bleiben, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt wird. Wer sich für einen Verbleib in der Pensionskasse seines bisherigen Arbeitgebers entscheidet, bleibt für die Risiken Invalidität und Tod weiter versichert und kann die Altersleistungen der beruflichen Vorsorge als Rente beziehen; selbst wenn bis zum Bezug der BVG-Altersleistungen keine neue Anstellung (mit Eintritt in die Pensionskasse eines neuen Arbeitgebers) mehr erfolgt. Bei einer Weiterversicherung müssen allerdings sowohl der Arbeitnehmer- als auch den Arbeitgeberanteil für die Risikobeiträge (für die Risiken Tod und Invalidität) sowie für die Verwaltungskosten bezahlt werden. Die Bezahlung von Sparbeiträgen (für das Altersguthaben) ist hingegen freiwillig, wobei auch hier sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberanteil anfallen.

    Beispiel

    Frau H verzichtet explizit auf den Vorbezug der Altersrente und die Weiterversicherung bei der bisherigen Pensionskasse. Sie meldet sich nach ihrer Entlassung bei der Arbeitslosenversicherung an. Die Pensionskasse überweist das Altersguthaben daraufhin auf ein Freizügigkeitskonto. Leider findet Frau H keine neue Stelle mehr. Zwei Jahre später ist der Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung ausgeschöpft. Nun wird Frau H ihr Altersguthaben vom Freizügigkeitskonto beziehen können. Dies ist ab 60 Jahren zulässig. Eine Altersrente aus beruflicher Vorsorge erhält sie in diesem Fall allerdings nicht mehr.

    Invalidenrente oder vorzeitiger Bezug der Altersrente?

    Wenn eine gesundheitlich beeinträchtigte Person, die das 60. Altersjahr erreicht hat, merkt, dass sie die beruflichen Anforderungen am bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr erfüllen kann, oder wenn der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses androht, so stellt sich regelmässig die Frage, ob es klüger ist, die Altersleistungen vorzeitig zu beziehen und die damit verbundenen Kürzungen in Kauf zu nehmen, oder ob eine IV-Anmeldung eingereicht werden soll. Es ist nicht möglich, auf diese Frage eine allgemein gültige Antwort zu geben. Jeder individuelle Fall liegt anders. Es ist deshalb in solchen Situationen immer ratsam, eine persönliche Beratung in Anspruch zu nehmen. An dieser Stelle können nur einige Faktoren genannt werden, die für die eine oder die andere Lösung sprechen.

    Folgende Faktoren sprechen (unter anderen) für einen vorzeitigen Bezug der Altersleistungen:

    • Ein vorzeitiger Bezug der Altersrente ist überhaupt möglich, sei es, dass bereits die AHV-Rente vorbezogen werden kann, sei es, dass das Reglement der Pensionskasse den Vorbezug der Altersrente aus beruflicher Vorsorge in diesem Alter erlaubt.
    • Die Altersleistungen sind trotz Kürzung genügend hoch, um die Existenz zu sichern (was insbesondere der Fall ist, wenn die Pensionskasse noch einen Überbrückungszuschuss gewährt).
    • Die Altersleistungen sind zwar zu wenig hoch, es besteht aber noch Vermögen, um die Lücke zu schliessen, oder die Lücke kann durch Ergänzungsleistungen geschlossen werden (was erst ab Vorbezug der AHV-Rente möglich ist);
    • Die betroffene Person will sich nicht mehr einem IV-Abklärungsverfahren unterziehen, welches immer auch mit Belastungen und Unsicherheiten verbunden ist.

    Folgende Faktoren sprechen (unter anderen) für eine Anmeldung bei der IV:

    • Die zu erwartenden Kürzungen bei den Altersleistungen sind erheblich. Der individuelle Existenzbedarf kann damit nicht mehr gewährleistet werden.
    • Es besteht im Betrieb eine kollektive Krankentaggeldversicherung, welche den Lohn bis zum Entscheid der IV zu decken vermag.
    • Die Ärztinnen und Ärzte attestieren eine Arbeitsunfähigkeit und können diese überzeugend begründen, und zwar nicht nur hinsichtlich der bisherigen Tätigkeit, sondern auch hinsichtlich einer angepassten Tätigkeit.
    • Es muss mit einer weiteren Verschlechterung der gesundheitlichen Probleme gerechnet werden.

    Es kommt immer wieder vor, dass sich eine Person für eine IV-Leistung angemeldet hat, sich das IV-Abklärungsverfahren aber in die Länge zieht und die Existenzsicherung während des Wartens auf den IV-Entscheid plötzlich in Frage gestellt ist. In solchen Fällen kann sich als Alternative zum Gang zur Sozialhilfe der Vorbezug einer AHV-Rente anbieten. Gewährt die IV später rückwirkend eine IV-Rente, so kann der Vorbezug der AHV-Rente widerrufen werden. Ob dies allerdings auch bezüglich der Renten aus beruflicher Vorsorge möglich ist, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig und teilweise umstritten.

    Beispiel

    Frau G hat bisher zu 70% im Verkauf gearbeitet und monatlich 2'500 Franken verdient. Kurz vor ihrem 61. Altersjahr erkrankt sie an einem Lungenleiden und wird von ihren Ärzten zu 100% arbeitsunfähig geschrieben. Die Taggeldversicherung des Betriebs bezahlt ihr ein Taggeld von 80% des Lohnes. Frau G hat sich bei der IV angemeldet. Deren Entscheid zieht sich jedoch in die Länge, weil noch ein Gutachten eingeholt wurde. Der Taggeldanspruch erlischt nach 720 Tagen. Da Frau G keine Reserven hat, müsste sie sich jetzt an den Sozialdienst wenden. Frau G will dies vermeiden und entscheidet sich dafür, die AHV-Rente mit 63 Jahren vorzubeziehen. Gleichzeitig bezahlt ihr die Pensionskasse des Arbeitgebers eine Altersrente aus beruflicher Vorsorge.
    3 Monate, nachdem Frau G die AHV-Rente erhalten hat, gewährt ihr die IV-Stelle rückwirkend eine ganze Invalidenrente, welche höher ist als die gekürzte AHV-Rente. In diesem Fall kann Frau G die vorbezogene AHV-Rente widerrufen. Ob auch die Pensionskasse einen entsprechenden Widerruf akzeptiert, muss sie abklären.

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