Dienstleistungen
Eine autonome Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist für behinderte Menschen nicht möglich, wenn sie einen erschwerten oder sogar keinen Zugang zu Dienstleistungen haben. Dies betrifft sowohl Dienstleistungen des Staates wie auch Dienstleistungen, die Privatpersonen anbieten. Die Bandbreite der in Frage stehenden Leistungen reicht vom Verkehr mit Behörden, wie Gemeindeämtern oder Gerichten, bis zum Restaurant, dem Kino oder dem Lebensmittelgeschäft um die Ecke. Auch Internetdienstleistungen fallen in diesen Bereich. Die Vorgaben zur Zugänglichkeit für behinderte Menschen sind allerdings je nach Anbieter sehr unterschiedlich.
Dienstleistungen staatlicher Stellen und monopolisierter Unternehmen
Alle staatlichen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden müssen sicherstellen, dass ihre Dienstleistungen von behinderten Menschen ohne Benachteiligung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt auch für Unternehmen, die aufgrund eines bundes- oder kantonalrechtlichen Monopols tätig sind, wie Verkehrsbetriebe, Radio und Fernsehen oder Post und Telefonanbieter im Rahmen der Grundversorgung.
Diese Behörden und Unternehmen müssen von Amtes wegen neue Dienstleistungen an die Bedürfnisse von behinderten Menschen anpassen, um einen Benachteiligung zu verhindern. Sie müssen aber auch bei bestehenden Dienstleistungen Benachteiligungen beseitigen. Nur wenn dies zu aufwendig wäre, reicht es, wenn die Benachteiligung zumindest verringert wird.
Beispiel
Eine staatliche Behörde stellt auf ihrer Internetseite zahlreiche Merkblätter zur Verfügung. Diese sind sowohl für Privatpersonen wie auch für Unternehmer eine wichtige Informationsquelle für diverse Fragen, z.B. zum Steuerrecht. Die bestehenden Merkblätter sind im PDF-Format in nicht zugänglicher Form. Seit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetztes im Jahr 2004 ist die staatliche Behörde dazu verpflichtet, neue Merkblätter in zugänglicher Form zur Verfügung zu stellen. Da der Aufwand, alle alten Merkblätter barrierefrei umzugestalten zu aufwendig wäre, reicht es, wenn diese auf Anfrage im Word-Format zur Verfügung gestellt werden.
Konkret müssen staatliche Behörden und die erwähnten Unternehmen vorhandene Hindernisse abbauen, aber auch aktiv weitere Massnahmen durchführen. Zentraler Gedanke muss dabei immer die autonome Inanspruchnahme der Dienstleistung durch behinderte Menschen sein.
Beispiel
In einer Gemeinde ist der Zutritt zum Gemeindehaus für Hunde verboten. Dies darf nicht für Blindenführ- und Assistenzhunde gelten, da sonst behinderte Menschen benachteiligt würden. Sie sind auf die Begleitung ihrer Hunde angewiesen, um sich selbständig in der Gesellschaft bewegen zu können. Bei einer Verhandlung am Gericht mit Hörbehinderten muss das Gericht dafür sorgen, dass ein Gebärdensprachdolmetscher anwesend ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Hörbehinderten alle Informationen verstehen und entsprechend entscheiden können.
Internetangebote des Gemeinwesens
Immer wichtiger werden jene Dienstleistungen, die Gemeinwesen über das Internet anbieten:
Informationen über Veranstaltungen in der Gemeinde oder Baueingaben werden auf der Internetseite publiziert, die Steuererklärung kann online ausgefüllt werden, der Kontakt mit einzelnen Stellen ist zum Teil nur noch via Internet-Kontaktformular möglich. Auch für diese Dienstleistungen gilt, dass sie für behinderte Menschen zugänglich sein müssen.
Beispiel
Eine Gemeinde beschliesst, den Strafregisterauszug nur noch auszustellen, wenn dieser über die Internetseite der Gemeinde angefordert wird. Damit will die Gemeinde schneller auf die Anfragen der Bürger reagieren und der Umwelt zuliebe Papier sparen. Leider hat die Gemeinde die entsprechende Seite nicht barrierefrei gestaltet. Damit benachteiligt sie sehbehinderte Menschen in der Inanspruchnahme dieser Dienstleistung und ist dazu verpflichtet, diesen Missstand aufzuheben. Entweder passt sie ihre Internetseite an oder sie führt wieder Möglichkeiten ein, den Strafregisterauszug auf andere Weise anzufordern.
Wer zahlt die Gebärdensprachdolmetsch-Kosten im Kontakt mit Gemeinwesen?
In der Kommunikation mit staatlichen Stellen werden regelmässig Gebärdensprachdolmetscher eingesetzt. Hier stellt sich oft die Frage nach der Kostenübernahme.
Grundsätzlich gilt: Wurde die Notwendigkeit eines Gebärdensprachdolmetschers rechtzeitig beim Gemeinwesen angemeldet und hat dieses selbst keine geeignete Person gefunden, so darf der Hörbehinderte selbst einen Gebärdensprachdolmetscher organisieren und die Behörde muss diesen bezahlen. Dies gilt für die Kommunikation mit allen Behörden, egal ob beim Bund, den Kantonen oder den Gemeinden.
Beispiel
Frau Z ist hörbehindert und hat einen Termin beim Arbeitsamt. Sobald sie das Datum des Termins erfährt, gibt sie bekannt, dass sie einen Gebärdensprachdolmetscher benötigt. Sie erhält die Antwort, dass das Arbeitsamt das noch nie gemacht habe und sie sich selbst darum kümmern müsse. Frau Z organisiert daraufhin einen Gebärdensprachdolmetscher und darf die Rechnung dann an das Arbeitsamt weiterleiten. Dieses ist dazu verpflichtet, die Rechnung zu bezahlen.
Neben Hörbehinderten gibt es auch noch andere behinderte Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung eine Unterstützung in der Kommunikation benötigen. In diesen Fällen kann eine sogenannte Kommunikationsassistenz eingesetzt werden. Diese unterstützt beispielsweise behinderte Menschen, die aufgrund einer geistigen oder psychischen Behinderung oder auch nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma nicht in der Lage sind, alleine komplexe Angelegenheiten zu besprechen. Die Assistenzpersonen helfen den behinderten Menschen dabei, sich verständlich zu machen oder sie erklären ihnen komplizierte Dinge in leicht verständlicher Weise. Diese Form der Assistenz muss ebenso von den staatlichen Behörden zugelassen und grundsätzlich bezahlt werden, wie ein Gebärdensprachdolmetscher. Die Kosten müssen jedenfalls übernommen werden, wenn der behinderte Mensch ohne Assistenz zentrale Informationen nicht verstehen würde und die Kosten nicht von einer anderen Stelle, wie beispielsweise der IV, gedeckt werden.
Beispiel
Herr S hat in Folge einer psychischen Erkrankung grosse Schwierigkeiten in der Kommunikation mit fremden Menschen. Für komplizierte Termine ist er auf die Begleitung eines Kommunikationsassistenten angewiesen, der ihm schwierige Dinge in leicht verständlicher Form erklärt. Nun steht das Scheidungsverfahren bevor und Herr S möchte, dass ihn sein Assistent begleitet. Der Richter ist dazu verpflichtet, den Assistenten zuzulassen, obwohl es bei Scheidungsverfahren eigentlich nicht üblich ist, dass ausser den beteiligten Personen und den Anwälten noch andere Personen anwesend sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass Herr S ohne Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung vor Gericht erscheinen und angehört werden kann.
Private Dienstleistungen: Restaurant, Kino, Geschäfte, Bäder etc.
Jede Privatperson oder jedes private Unternehmen, das Dienstleistungen anbietet, die allgemein zugänglich sind, darf behinderte Menschen nicht diskriminieren.
Allerdings sind private Dienstleistungsanbieter nicht dazu verpflichtet ihre Dienstleistungen an die Bedürfnisse behinderter Menschen anzupassen. Sie dürfen diese lediglich nicht in ihrer Würde verletzen oder behinderte Menschen schlechter als nichtbehinderte behandeln ohne dies mit gewichtigen Gründen rechtfertigen zu können. Diese Gründe dürfen allerdings nicht auf Vorurteilen behinderten Menschen gegenüber beruhen.
Beispiel
Ein Restaurant ist nicht dazu verpflichtet, die Speisekarte in Braille-Schrift zur Verfügung zu stellen. Die Internetseite eines Onlinegeschäfts muss nicht für behinderte Menschen zugänglich sein. Ein Schwimmbad darf aber einer Gruppe behinderter Kinder nicht den Zutritt verweigern, nur weil es befürchtet, dass die anderen Gäste sich gestört fühlen könnten. Auch darf ein Taxifahrer die Mitnahme eines Blindenführhundes nicht ablehnen, ausser der Hund wäre ihm gegenüber aggressiv.
Unterstützung bei einer diskriminierenden Behandlung
Benachteiligungen durch das Gemeinwesen bzw. die oben erwähnten Unternehmen können bei einem Gericht oder bei der zuständigen Verwaltungsbehörde einklagt werden. Als Folge kann die Behörde oder das Unternehmen dazu verpflichtet werden, die in Frage stehende Dienstleistung anzupassen. Wäre eine Anpassung der Dienstleistung nicht verhältnismässig, wäre sie also beispielsweise zu teuer, so muss das Gericht eine Ersatzlösung anordnen.
Anders ist dies bei privaten Dienstleitungen: Gegen Benachteiligungen von privaten Anbietern kann vor Gericht lediglich die Feststellung der Diskriminierung und eine Entschädigung in Höhe von maximal Fr. 5'000.- eingeklagt werden. Private können also nicht dazu gezwungen werden, ihre Dienstleistungen anzupassen.
Unterstützung bei einer Benachteiligung oder Diskriminierung bei einer Dienstleistung bieten spezialisierte Fachstellen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.
Rechtliche Grundlagen
- Recht auf Zugänglichkeit in der UNO-Behindertenrechtskonvention:
Art. 9 BRK - Recht auf Zugang zu Information in der UNO-Behindertenrechtskonvention:
Art. 21 lit. c und d BRK - Verbot der Diskriminierung in der Kranken- und Lebensversicherung in der UNO-Behindertenrechtskonvention:
Art. 25 lit. e BRK - Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben, sowie an Erholung, Freizeit und Sport in der UNO-Behindertenrechtskonvention:
Art. 30 BRK
- Verbot der Benachteiligung bei der Inanspruchnahme einer staatlichen Dienstleistung bzw. von im Monopol des Bundes stehenden Unternehmen:
Art. 2 Abs. 4, 3 lit. e BehiG - Verbot der Diskriminierung bei der Inanspruchnahme einer privaten Dienstleistung:
Art. 6 BehiG - Rechtsanspruch bei Benachteiligung bzw. Diskriminierung:
Art. 8 Abs. 1 und 3 BehiG - Verhältnismässigkeit:
Art. 11, 12 Abs. 3 BehiG