Zurück

«Wenn sie ausrastet, bleibe ich ruhig»: Leben mit der autistischen Meyra.

pflegende_angeoerige_2022_header.jpg

Teenager Lejla ist immer für ihre kleine Schwester Meyra da – auch wenn das manchmal viel von ihr abverlangt… Am Tag der pflegenden und betreuenden Angehörigen am 30. Oktober 2022 möchte Pro Infirmis sich besonders bei den jungen Menschen, den sogenannten Young Carers, für ihren wertvollen Einsatz bedanken. 

Senada und Omer haben drei Kinder: Lejla, Meyra und Hamza. Dass die 8-jährige Meyra Autismus hat, sieht man nicht sofort. Erst auf den zweiten Blick lässt sich erahnen, dass sich Meyra von ihren Geschwistern, der 15-jährigen Lejla und dem 7-jährigen Hamza, unterscheidet. Meyra macht kaum Augenkontakt, dreht sich im Kreis. Erst mit 6 Jahren hat Meyra angefangen, die ersten Wörter zu sprechen. Dank Logopädie-Unterricht kann sie sich besser ausdrücken. Nicht mit Sätzen, sondern mit einzelnen Wörtern. Oder sie nimmt einen an der Hand und zeigt auf etwas. Meyra singt gerne. Und das in ihrer ganz eigenen Sprache: einem phonetischen Gemisch aus Bosnisch, Deutsch und Englisch.

Meyra will wie ihre grosse Schwester Lejla sein und zieht immer wieder ihre Kleider an. Am Anfang war das für Lejla gewöhnungsbedürftig. «Am Morgen kommt Meyra ins Zimmer und weckt mich auf. Am Nachmittag, wenn ich von der Schule heimkomme, will sie spielen». Meyra zeigt jeweils auf ihre Spielsachen und Lejla bringt sie ihr. Meyra gliedert ihre Spielsachen in einer für sie ganz persönlichen Reihenfolge. Wehe, wenn sie jemand versetzt! «Wenn sie ausrastet, bleibe ich ruhig», sagt Lejla. Ein Ausraster dauert bis zu zwei Stunden.

Was sie beruhigt? «Man muss die Situation nachspielen, wie wenn man einen Film zurückspult», erklärt Papa Omer. Abläufe wie zum Beispiel ins Auto steigen müssen von allen Beteiligten nachgespielt werden, wenn man die Reihenfolge des Einsteigens missachtet habe. Überhaupt sei das Einhalten vom Tagesrhythmus entscheidend für Meyras Wohlbefinden. Meyra hat einen sehr geringen Schlafbedarf von etwa vier Stunden – mit Unterbrüchen. «Ich habe seit 8 Jahren nicht mehr durchgeschlafen», so Mama Senada.

Meyra mit Schwester, Bruder und Eltern in der Küche

Meyra und Lejla sitzen mittlerweile am Esstisch und malen ein Hello-Kitty-Bild aus. Was auffällt: Lejla greift zu den gleichen Farben. «Es muss alles gleich sein», bestätigt Lejla. 

«Meyra!», ruft Meyra
«Lejla!», antwortet Lejla

Dieses Ruf- und Antwortspiel zwischen den beiden Schwestern wird mehrere Male wiederholt, bis Meyra genug hat. 

Young Carers wie Lejla sind sich ihrer Rolle oft nicht bewusst. Sei es, weil sie aus einer Notsituation entstand, oder weil Geld und nachhaltige Lösungen fehlen. Schlafprobleme, Trauer, Depressionen und Schulabsentismus sind nur ein paar von vielen Folgen, welche diese Art der Überforderung mit sich bringen kann. Es ist an der Zeit, dass Young Carers in unserer Gesellschaft anerkannt und Formen der Entlastung für sie gefunden werden. 

Pro Infirmis unterstützt pflegende und betreuende Angehörige mit diversen Dienstleistungen wie Sozialberatung, Entlastungsdienst und Assistenzberatung. Lösungen zur Verbesserung der Situation von pflegenden und betreuenden Angehörigen müssen in der Politik mehr Gehör finden, leben in der Schweiz doch 20% der Bevölkerung mit Behinderungen. Pro Infirmis begrüsst die Bemühungen der Parlamentarier*innen, welche sich für die pflegenden und betreuenden Angehörigen aussprechen.   

Fussbereich

nach oben