Folge 1: Janine und Andrea Folge 3: Selbstbestimmung und Respekt
Podcast Folge 2: Wohnen und Leben
In Janines Leben ist viel los: Nächstes Jahr wird die junge Frau 30 Jahre alt, heiratet und möchte mit ihrem Schatz zusammenziehen. Das gibt einiges zu organisieren. Mit der Wohnbegleiterin Andrea tauscht sich Janine zu den beiden Feiern und der Wohnungssuche aus – und über Konflikte, die bei der Arbeit ausbrechen.
Transkript: Die ganze Folge 2 zum Nachlesen
[Andrea] Da ist wieder Andrea vom Begleiteten Wohnen von Pro Infirmis. Ich habe mit der Klientin Frau Zobrist abgemacht. Mal läuten...
[Türklingel]
... schauen, ob ich sie erwische.
[Türöffner brummt]
[Weibliche Stimme] Manchmal braucht es im Leben Unterstützung, wenn man nicht alles ganz alleine meistern kann. Weil Unterstützung ermöglicht Eigenständigkeit.
[Janine] Mein Schatz und ich, wir haben uns gesagt wir werden trotzdem heiraten, egal, was seine Eltern sagen werden.
Das ist Janine. Sie ist 29 und hat eine kognitive Beeinträchtigung. Sie hat eine Lernschwäche. Sie ist eine von rund 1,7 Millionen Menschen in der Schweiz mit einer Beeinträchtigung. Dank dem Begleiteten Wohnen von Pro Infirmis kann sie alleine in ihrer 2 1/2 Zimmer-Wohnung leben.
[Andrea] Sie sind eine belastungsfähige junge Frau, das ist schön!
Das ist Andrea. Sie ist die Wohnbegleiterin. Die Sozialpädagogin trifft sich einmal pro Woche mit Janine. In diesem Podcast begleiten wir die zwei Frauen ein Stück auf ihrem Weg. Meine Wohnung, mein Leben: der Podcast zum Begleiteten Wohnen von Pro Infirmis.
[Cheyenne] Und ich bin Cheyenne. Ich mache zusammen mit Janine und Andrea diesen Podcast. Wenn du hier direkt eingestiegen bist, hör dir doch erst die Folge 1, damit du die beiden Frauen kennenlernst. Das ist Folge 2: "Wohnen und Leben". Nachdem Janine, Andrea und ich uns im Podcast-Studio getroffen haben, habe ich den beiden Frauen das Aufnahmegerät mitgegeben und sie haben es bei ihren Treffen zuhause bei Janine laufen lassen.
[Andrea] Hallo!
[Janine] Grüezi!
[Andrea] Ooh, (lacht), sie sind schön angezogen. Das ist dann herzig.
[Janine] Da ist der Dumbo, der Elefant.
[Andrea] Ja, der Elefant. Haben Sie's neu?
[Janine] Ja.
[Andrea] Ganz hübsch! Entschuldigung. Darf ich hineinkommen?
[Janine] Ja.
[Andrea] Sie haben sich schon frischgemacht nach dem Arbeiten...
[Janine] Ich habe freitags immer frei.
[Andrea] Ou.
[Janine] Aber ich dachte, ich hätte ihnen das gesagt.
[Andrea] Das kann schon sein. Aber wissen Sie, ich habe noch mehr Klienten und ein Privatleben, ich höre von so vielen Leuten viele Sachen. Ich probiere mir natürlich schon, alles optimal zu merken, um dann auch nachfragen zu können, aber ein Mensch ist ein Mensch, manchmal geht dann auch etwas vergessen. Wir haben sicher schon über die Arbeitszeiten gesprochen, da haben Sie komplett recht, aber das ist untergegangen.
[Cheyenne] Eigentlich kommt Andrea ein mal pro Woche zu Janin nach Hause, um die Wohnbegleitung zu machen. Für diesen Podcast treffen sich die beiden ein bisschen mehr: um ins Gespräch zu kommen und sich ans Aufnehmen zu gewöhnen. Sie haben mehrere Tage lang aufgenommen und was ihr hier hört, sind ausschnitte davon. Wenn Andrea zu Janine geht, reden die beiden über alles. Etwas, was Janine wichtig ist, ist ihre Wohnung, und was sie für einen Eindruck macht.
[Janine] Ich frage das jetzt einfach. Haben Sie das Gefühl, dass ich meine Wohnung gut oder schlecht aussieht. Finden Sie, dass es bei mir ein heimeliges Gefühl gibt?
[Andrea] Ja, das habe ich das Gefühl. Ich denke, Sie haben ihren Stil gefunden, würde ich sagen. Haben Sie mal eine Rückmeldung bekommen, dass es nicht so heimelig sei?
[Janine] Nein. Aber ich kenne Leute, bei denen sieht es anders aus. Fast so ein bisschen Messie-Mässig.
[Andrea] Sie haben schon das Gefühl, dass sie extrem von der Wohnschule von Pro Infirmis profitiert haben, auch im haushalterischen Bereich.
[Janine] Ja, und ich glaube, es wäre auch für meine Mutter besser gewesen, wenn sie das gehabt hätte.
[Cheyenne] Den Haushalt zu machen, ehrlich gesagt, ich muss mich immer ein bisschen überwinden und ich schiebe es auch gerne ein bisschen vor mir her. Wie Andrea es so schön sagt: Das Haushalten braucht viel Energie, neben allem anderen, das im Leben so läuft.
[Andrea] Man hat die Arbeit, Beziehungen, das Weggehen... es ist viel Arbeit. Das Waschen, Abwaschen, sie haben ja keinen Geschirrspüler, Kochen, Einkaufen, es ist ein grosser Posten im Leben, wo man sich organisieren. Wenn man möchte, dass es so aussieht und wenn man sich noch gesund ernähren möchte. Das ist ihnen ja auch ein grosses Anliegen.
[Janine] Ja. Wenn ich gar keine Zeit habe zum Kochen, nehme ich etwas für die Mikrowelle...
[Andrea] Es ist immer eine Frage des Masses. Wie mit dem Alkohol auch. Ein Gläschen Wein schadet bestimmt niemandem.
[Janine] Nein. Man muss einfach wissen, dass dann auch wirklich genug ist nach einem Glas. Beim Abendmahl ist klar, dass ich das machen möchte, mit einem Glas Wein dazu. Und es ist einfach ein Glas, dann ist fertig für mich.
[Andrea] Da haben sie genaue Vorstellungen, wie es für Sie stimmt.
[Cheyenne] Janine hat gerade vom Abendmahl erzählt. Für eine kurze Einordnung: Sie ist bei einer Freikirche und die Religion hat in ihrem Leben einen grossen Stellenwert. Sie pflegt auch viele Freundschaften und hat kürzlich eine grosse Runde zu sich nach Hause eingeladen. Das gibt viel zu planen.
[Janine] Ich habe geschaut, dass ich alles am gleichen Tag kaufe, dass es wirklich frisch ist.
[Andrea] Dann mussten Sie den Wecker stellen und hatten einen vollen Tag. Haushalten, einkaufen, vorbereiten... dann kam der Besuch und am Abend sind sie dann noch weggegangen, nochmal Feiern.
[Janine] Ja (lacht)
[Andrea] Sie sind eine belastungsfähige junge Frau, das ist schön.
[Janine] Und nächstes Jahr gibt es eine grosse Party, da werde ich 30. Und zuerst noch die Hochzeit.
[Andrea] Sie kommen nicht mehr aus dem Feiern raus nächstes Jahr!
[Janine] Nein! (lacht)
[Cheyenne] Ihre bevorstehende Hochzeit beschäftigt Janine sehr. Es ist eine recht grosse Sache und darum gibt es viel zu tun. Im Moment versucht Janine herauszufinden, wo und wie sie am besten Einladungskarten machen lässt. Da hat sie zuerst mal bei einem Anbieter geschaut, bei dem man die Karten im Internet bestellen kann.
[Janine] Aber, leider Gottes, ist es so, dass man das Foto selber machen muss, dann verlangen sie für jede Einladungskarte 14 Franken.
[Andrea] Das ist extrem viel...
[Cheyenne] Darum hat sie sich jetzt für eine vorgedruckte Karte entschieden, das gibt weniger zu tun und kommt günstiger.
[Janine] Ich werde es noch mit meinem Schatz anschauen, denn ich möchte ja nicht alles alleine bezahlen. Auch wegen den Ringen, damit ich nicht alles selber zahlen muss.
[Andrea] Ich glaube auch vom Gefühl ... die Ringe ... es ist eine Geste und nochmal ein Ja.
[Janine] Es ist ja für beide!
[Andrea] Da kann ich sie nur unterstützen. Es ist ja eine Verbindung, die man miteinander eingeht und es braucht wirklich beide und von beiden ein wirkliches Ja.
[Cheyenne] Zum Ja-Sagen braucht Janine auch die passende Frisur.
[Janine] Ich habe eine Arbeitskollegin, sie hätte mir so gerne geholfen mit der Hochzeitsfrisur, aber, leider Gottes, hat sie Migräne, weil sie einen Tumor hat.
[Andrea] Dann könnte sie das gut? Ist das ihr erster Beruf oder ihr Hobby?
[Janine] Ihr Hobby!
[Andrea] Und haben Sie schon Bilder gesehen, was sie macht?
[Janine] Nein, sie hat das bei mir gerade ausprobiert und hatte eine Idee, aber eben leider Gottes, muss sie vermutlich irgendwann eine Chemotherapie machen. Das ist einfach ein schlimmes Schicksal.
[Andrea] Sie müssen sich beim Arbeiten schon mit vielem auseinandersetzen. Andere Schicksale.
[Cheyenne] Janine arbeitet in einer Stiftung, die sogenannt geschützte Arbeitsplätze anbietet. Das ist ein Ort, wo Menschen zusammenarbeiten, die eine Beeinträchtigung haben. Das heisst, Janine ist in ihrem Arbeitsalltag mit vielen persönlichen Schicksalen konfrontiert und es prallen ganz unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinander.
[Janine] Heute hat eine von "Supernatural" erzählt, das ist eine Serie. Ich schaue sie nicht mehr, weil es mir nicht gut tut. Wenn dann jemand erzählt, würde ich gerne sagen 'hör bitte auf', aber sie ist mittendrin und ich möchte sie nicht unterbrechen.
[Andrea] Das ist schon wichtig. Ich glaube, das spüren Sie schon richtig. Zum Gespräch gehört auch, dem anderen auch Raum geben zu können, auch wenn man nicht einverstanden ist, es anders sieht, oder auch wenn einem nicht unbedingt gut tut, was man hört.
[Janine] Nachdem ich diese Serie weggegeben habe, ist es mir besser gegangen.
[Andrea] Sie kennen die Serie also. Darf ich fragen, was Ihnen nicht gut getan hat?
[Janine] Es geht um zwei Brüder, die Dämonen und Hexen und Vampire jagen. Von dem Zeug möchte ich nichts mehr hören.
[Andrea] Beim Arbeiten kann man aber nicht einfach davonlaufen oder sagen 'jetzt möchte ich nichts hören', denn in einer Gruppe kann man darüber reden, was man möchte.
[Janine] Eben, ich habe es halt lieber, wenn es ein bisschen ruhiger ist.
[Andrea] Wie sie vorher schon gesagt haben, das haben Sie ja gelernt, dann muss man manchmal, ich sage immer, ein Regenmäntelchen anziehen, wenn man merkt, das ist eigentlich nicht das Richtige...
[Cheyenne] Dieses Regelmäntelchen nimmt Janine immer wider hervor. Manchmal gibt es trotzdem Diskussionen, die sie nachhaltig beschäftigen.
[Janine] Am Mittwoch habe ich eine Diskussion angefangen und gestern hat es mir leid getan, weil ich fand, ich soll am Arbeitsplatz keine unnötigen Diskussionen anfangen. Ich wollte nur sagen, dass ich das problematisch finde, wenn Kinder bei zwei Vätern oder zwei Müttern aufwachsen. Aus dem ist dann eine Diskussion entstanden. Und dann hat es mir mega leid getan.
[Andrea] Haben sie dann Feuer gefangen und sind energisch geworden, war das das Problem? Und dann fanden sie: 'Das war jetzt zu viel des Guten, ich habe zu fest meine Meinung gesagt'.
[Janine] Ja!
[Andrea] Auch da kann ich Ihnen nur wieder ein Kompliment machen. Wenn es einem leid tut und man realisiert, dass es zu emotional war, kann man wieder darüber reden und dann ist es wieder in Ordnung.
[Janine] Eben, ich sagte, es tut mir leid...
[Andrea] Super!
[Janine] ... und ich habe ihm gesagt, dass er weiss, dass mir die Meinung nicht vom ICF aufgezwungen worden ist.
[Cheyenne] Janine hat eine klare Haltung. Sie steht hin und sagt, was sie denkt. Das ist nicht immer einfach. Zum Beispiel, wenn es um die bevorstehende Hochzeit geht.
[Janine] Mein Schatz und ich, wir haben uns gesagt, wir werden trotzdem heiraten, egal, was seine Eltern sagen werden.
[Cheyenne] Warum die Eltern nicht so Freude an der Hochzeit haben und wie die Selbstbestimmung des Lebens für Janine wichtig ist, das hörst du in der nächsten Folge von "Meine Wohnung, mein Leben". Hast du eine Frage an Janine oder Andrea? Oder an Pro Infirmis? Hat dich dieser Podcast zum Nachdenken gebracht? Wir freuen uns auf dein Feedback. Am einfachsten per Mail an podcast@proinfirmis.ch. Ich bin Cheyenne und freue mich auf die nächste Folge.