Resolution: Vollständige politische Teilhabe jetzt!
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Petitionen der Behindertensession
Präambel
Wir Menschen mit Behinderungen in der Schweiz
sind gleichberechtigte Bürger*innen
mit den gleichen Rechten und Pflichten.
Die Verfassung verspricht uns Rechtsgleichheit,
doch sichtbare und unsichtbare Hindernisse verunmöglichen uns Chancengleichheit.
Dies ändern wir jetzt, denn wir sind viele.
Wir sind ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung.
Gemeinsam sind wir eine politische Kraft,
wenn wir unsere Rechte und Pflichten ungehindert wahrnehmen.
Gemeinsam schaffen wir eine gerechtere und offenere Schweiz,
für alle.
Ein unhaltbarer Zustand
In der Schweiz leben gemäss Bundesamt für Statistik rund 1,8 Millionen Menschen mit Behinderungen. Das Recht dieser Bevölkerungsgruppe auf Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben ist in der UNO-Behindertenrechtskonvention festgehalten, die aber noch nicht umgesetzt ist. Der Zugang zu politischen Strukturen wird für Menschen mit Behinderungen nach wie vor erschwert oder verhindert:
Die Verwehrung der politischen Rechte
Menschen, die «wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind» (Art. 136 BV), werden die politischen Rechte grundsätzlich aberkannt. Davon betroffen sind Menschen mit psychischen und kognitiven Behinderungen, die unter umfassender Beistandschaft stehen.
Das Recht zu wählen
Abstimmungs- und Wahlunterlagen und Informationen sind nicht vollumfänglich hindernisfrei zugänglich. Menschen mit Sehbehinderungen können nicht autonom wählen und abstimmen. Eine Teillösung auf Bundesebene ist zwar in Arbeit, garantiert aber im Falle von Wahlen das Stimmgeheimnis sowie die nötige Autonomie nicht und kann nur eine Übergangslösung bis zur Einführung eines hindernisfreien E-Votings sein. Abstimmungserläuterungen in Leichter Sprache werden nicht zur Verfügung gestellt, was für Menschen mit kognitiven Behinderungen eine Hürde darstellt. Wahlunterlagen, Informationen und Erklärvideos werden für Menschen mit einer Hörbehinderung nicht in Gebärdensprache und ergänzter Lautsprache erstellt oder untertitelt.
Das Recht, gewählt zu werden
Menschen mit Behinderungen sind als politische Vertreter*innen stark unterrepräsentiert. Auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene finden sich nur vereinzelte Politiker*innen mit Behinderungen in gewählten Ämtern. Die Gründe dafür sind vielseitig: Noch immer ist die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen sehr defizitorientiert, was ihre Wahlchancen mindert. Viele Parteien sind nicht für alle zugänglich und fördern Menschen mit Behinderungen als Mitglieder und auf Wahllisten noch zu wenig. Der drohende Verlust von notwendigen Versicherungsleistungen beim Antritt eines politischen Amtes und die Folgen einer Abwahl diesbezüglich, stellen zusätzliche Hindernisse dar.
Zudem sind die politischen Strukturen nicht hindernisfrei zugänglich. Seien das parteiliche Strukturen oder die politischen Strukturen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Das betrifft die bauliche Zugänglichkeit von Gebäuden und Orten für die Ausübung von Ämtern oder die Teilnahme an Veranstaltungen. Es betrifft fehlende Assistenzleistungen und Nachteilsausgleiche, die eine Voraussetzung für eine politische Teilhabe, für Wahlkämpfe oder die Ausübung eines Amtes sein können. Und es betrifft auch die Zugänglichkeit zu Information und Veranstaltungen, die wegen technischer, sprachlicher oder kommunikativer Hürden nicht oder nur teilweise gegeben ist.
Die Folgen fehlender politischer Teilhabe
Die ungenügende Mitsprache hat Konsequenzen. Die Überprüfung der Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention 2022 hat gravierende Mängel in allen Lebensbereichen aufgezeigt: Die Hindernisfreiheit von ÖV und Gebäuden wird ignoriert, die Finanzierung von Heimen und Werkstätten hindert gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe, die offizielle Schweiz nennt uns «invalid» und spricht uns damit unseren Wert ab. Die Politik steuert diese Umsetzung. Bestimmen wir nicht mit, dann leidet auch die Teilhabe an Gesellschaft, Arbeit, Gesundheit, Kultur, Sport und allen Lebensbereichen.
Wir fordern unsere Rechte und eine inklusive Politik
Dieser Zustand ist inakzeptabel. Die Schweizer Demokratie lebt von der Vielfalt des föderalen und mehrsprachigen Staates. Wir Menschen mit Behinderungen tragen zu dieser Vielfalt bei. Unser Wissen und unsere Expertise zu Fragen der Inklusion, aber auch weit darüber hinaus auszuschliessen, hindert die Schweiz daran, weiterzukommen. Von einem hindernisfreien Zugang zum öffentlichen Leben profitiert die gesamte Bevölkerung.
Die Behindertensession 2023 fordert die Politik, die Behörden und die Zivilgesellschaft dazu auf, die Teilhabe und Vertretung von Menschen mit Behinderungen auf allen politischen Ebenen zu stärken und entsprechend Hindernisse zu beseitigen. Politik muss mit uns Menschen mit Behinderungen gemacht werden – nicht für uns und nicht ohne uns!
Unsere Forderungen:
- Wir fordern, autonom und ungehindert unser Wahl- und Stimmrechtausüben zu können. Niemandem darf aufgrund einer Behinderung dieses Recht entzogen werden. Bund, Kantone und Gemeinden garantieren, dass allen Menschen mit Behinderungen sämtliche Informationen zugänglich sind und das Wahl- und Abstimmungsverfahren autonom und hindernisfrei möglich ist.
- Wir fordern, selbstbestimmt und gleichberechtigt am politischen Leben teilzuhaben. Bund, Kantone, Gemeinden, aber auch die Parteien und politische Veranstalter verpflichten sich, ihre Veranstaltungen, Abläufe, Gebäude, Dienstleistungen, Unterlagen und Informationen für alle Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen, öffentliche Mittel dafür zur Verfügung zu stellen und treten gegen Ableismus ein.
- Wir fordern eine bessere direkte Repräsentation von Menschen mit Behinderungen auf allen politischen Ebenen – vom Gemeinderat bis in den Bundesrat. Bund, Kantone, Gemeinden und Parteien verpflichten sich, dieses Ziel durch Massnahmen zur Unterstützung, Ermutigung und durch finanzielle Nachteilsausgleiche zu erreichen. Der Staat garantiert, dass Personen nach Beendigung eines politischen Amtes die gleichen Sozialleistungen wie davor erhalten.
- Wir fordern bei allen politischen Entscheiden angehört zu werden und mitsprechen zu können. Dafür bezeichnen alle ständigen Kommissionen auf allen staatlichen Ebene Menschen mit Behinderungen als Expert*innen und konsultieren diese. Zusätzlich wird auf nationaler Ebene eine ausserparlamentarische Behindertenkommission geschaffen.
- Wir fordern unsere Mitstreiter*innen, die 1,8 Millionen Menschen mit Behinderungen, dazu auf, aktiv zu werden, sich zu vernetzen und sich auf allen Ebenen politisch einzubringen. Dabei gilt es, bestehende Hindernisse weiterhin aufzuzeigen und sich den Platz in der Politik zu erkämpfen.
- Wir fordern die Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen auf, ihre Vorbildfunktion wahrzunehmen. Sie verpflichten sich, ihre strategischen und operativen Gremien mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen, sie autonom und hindernisfrei mitgestalten zu lassen und sich gemeinsam mit ihnen für die vollständige politische Teilhabe einzusetzen.
- Wir fordern, dass Menschen mit Behinderungen nicht an bestimmten Fähigkeiten gemessen und auf ihre Behinderungen reduziert werden. Nach Grundrecht sind alle Menschen gleich und sollen keine Ungleichbehandlung und stereotypische Zuweisungen erfahren.
- Wir fordern, dass diese erste Behindertensession nicht die letzte sein wird. Wir haben noch viel zu sagen und einzubringen.