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Fallbeispiel: «Danyar braucht unsere Nähe. Nur dann ist er glücklich.»

Sonja V. vom Entlastungsdienst von Pro Infirmis steht neben Danyars Pflegebett und streicht dem kleinen Buben (8) liebevoll übers Gesicht. Gerade hat er noch geweint, jetzt beruhigt er sich. Mami Sanela bereitet zeitgleich in der Küche das Essen zu, das Danyar später über eine Magensonde zugeführt bekommt. «Sonja ist ein Engel», sagt Sanela und lächelt für einen kurzen Moment. «Sie ist immer da, wenn man sie braucht.»

Doch von vorne: Danyar kommt als mittleres von drei Kindern gesund auf die Welt. Er ist ein aufgeweckter, kluger Junge, der spielerisch vier Sprachen spricht – und mit Witz und Charme seine Familie bei Laune hält. Eines seiner Hobbys ist, sich mit seiner älteren Schwester Larya zu verkleiden und Tanzvideos aufzunehmen. Alles scheint gut. Bis Danyar im Alter von fünf Jahren aus dem Nichts heraus vom Velo stürzt – ein erstes Zeichen seiner Erkrankung X-Adrenoleukodystrophie. «Danyar hatte sich am Kopf verletzt und ich bin mit ihm deshalb in den Notfall gefahren. Er konnte sich nicht an den Unfall erinnern. Mein Bauchgefühl hat mir damals schon gesagt, dass mit ihm etwas nicht stimmt», erzählt Papi Redar. Damals werden keine weiteren medizinischen Abklärungen gemacht. So verstreicht wertvolle Zeit, in der Danyars Krankheit unbemerkt voranschreitet.

Plötzlich drängt die Zeit

Im Oktober 2020 fängt Danyar an, stark zu schielen. Der Kinderarzt verweist die Familie an die Augenklinik. Der kleine Bub wird eingehend untersucht und eine Magnetresonanztomografie (MRT) angeordnet: Diese zeigt beunruhigende Veränderungen an seinem Gehirn. Am Kinderspital Zürich folgen weitere Abklärungen und ein Gentest erbringt kurz darauf die Diagnose X-Adrenoleukodystrophie. «Für uns ist eine Welt zusammengebrochen», erzählt Mami Sanela und kämpft mit den Tränen. «Uns wurde gesagt, dass Danyar nur noch wenige Jahre zu leben habe.»

Eine Stammzellentransplantation erweist sich als letzte und einzige Möglichkeit, Danyars Krankheit eventuell zu heilen, zumindest deren Fortschreiten zu verlangsamen. Das Kinderspital gibt grünes Licht und so beginnt die Suche nach einer passenden Spenderperson. Doch leider verhindert die Covid-19-Pandemie eine breit aufgestellte Suche. Doch die Zeit drängt. Jeder weitere Tag verschlechtert Danyars Chancen auf eine erfolgreiche Therapie. Schliesslich beschliesst das medizinische Team, dass Papi Redar seine Stammzellen spenden soll. Danyar durchläuft tapfer eine vorbereitende, sehr kräftezehrende Chemotherapie am Kinderspital Zürich, bis ihm die Stammzellen transplantiert werden können. «Uns wurde gesagt, dass ich nicht der bestmögliche Spender bin. Aber gleichzeitig drängte die Ärzteschaft zur Eile. Was hätten wir tun sollen? Als Eltern versucht man alles, um sein Kind zu retten», blickt Redar auf diese schwierige Zeit zurück.

Rundumbetreuung nötig

Wie erwartet bringt die Stammzellentherapie nicht den erhofften Erfolg und Danyars Erkrankung schreitet – unabhängig davon – weiter voran. Danyar, der ehemals so aufgeweckte Junge, wird innerhalb weniger Monate zum Pflegefall: «Es war grausam. Erst erblindete er, dann verlernte er zu gehen, zu sprechen, eigenständig zu essen … Wir haben unser Kind an diese schreckliche Krankheit verloren», sagt Sanela und man merkt ihr an, wie sehr sie mit ihrem Schicksal hadert. Danyar ist heute rund um die Uhr auf Betreuung angewiesen. Ernährt wird er über eine Magensonde. «Ich habe Danyars Ernährung komplett von pharmazeutischer Spezialnahrung auf frisch gekochtes, püriertes Gemüse und Früchte umgestellt. Die Umstellung tut Danyar gut, er war schon lange nicht mehr krank – sein Zustand ist stabil. Vorher mussten wir mit ihm fast jeden Monat für ein bis zwei Wochen ins Spital, weil er aufgrund seiner Erkrankung besonders anfällig für Atemwegsinfektionen ist. Doch Danyar hat immer gekämpft und mehrere Lungenentzündungen überlebt», erzählt sie.

Nähe tut Danyar gut

Das Leben von Familie Z. hat sich mit Danyars Erkrankung komplett verändert. Wenn der 8-Jährige nicht schläft, braucht er viel körperliche Nähe, damit er sich wohlfühlt. «Wenn Redar arbeitet und ich mit Danyar allein bin, komme ich zu nichts. Entferne ich mich von ihm, fängt er an zu weinen und versteift sich manchmal so sehr, dass er grosse Schmerzen verspürt. Nachts schläft er bei mir im Bett und wacht mehrmals auf. Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal mehr als fünf Stunden am Stück geschlafen habe. Oft bin ich sehr erschöpft», erzählt Sanela.

Umso wichtiger ist es, dass seit Oktober 2022 zweimal pro Woche für je vier Stunden Sonja V. respektive Maris L. vom Entlastungsdienst von Pro Infirmis die Betreuung von Danyar übernehmen. «Beide Frauen haben ein super Händchen für Danyar und er ist sehr entspannt, wenn der Entlastungsdienst kommt», fügt sie an. Für ein paar Stunden die Verantwortung für Danyar in kompetente Hände geben zu können, ist sehr wichtig. Denn auch die Geschwister Larya (9) und Darin (3) brauchen Zuwendung. Larya vermisst den «gesunden» Danyar, der wie ein Zwillingsbruder für sie war, sehr. Die Erfahrungen mit Danyars Erkrankung haben sie erwachsen gemacht für ihr Alter. Darin, der 3-jährige Bruder, ist dagegen manchmal eifersüchtig darauf, dass Danyar mehr Aufmerksamkeit als er erhält. Beide Geschwister sind trotz der grossen Belastung immer sehr lieb und hilfsbereit, wenn es um Danyar geht, und helfen ihren Eltern. «Trotzdem bräuchte ich zwei Arme mehr, um jedem meiner Kinder gerecht zu werden. Vor allem, wenn Redar bei der Arbeit ist», sagt Mami Sanela. Dank dem Entlastungsdienst können die Eltern auch mal durchatmen und für ein paar Stunden allein oder mit ihren anderen Kindern aus dem Haus, ohne sich sorgen zu müssen.

Monat für Monat knapp

Neben den Sorgen um Danyar plagen die Familie finanzielle Nöte. Sanela musste für Danyars Betreuung ihren Beruf als gelernte Pflegerin aufgeben. Und auch Redar verdient weniger, da er – um mehr für Danyar da sein zu können – einen flexibleren, aber schlechter bezahlten Posten angenommen hat. Danyars Hilflosenentschädigung, welche die Familie mit Unterstützung von Lukas F., dem Sozialarbeiter von Pro Infirmis, beantragt hat, wurde zunächst von der IV zu tief eingestuft. «Es ist kräftezehrend, dass man um alles kämpfen muss. Wir haben ein zu 100 Prozent pflegebedürftiges Kind zu Hause und haben monatelang keine 100-prozentige Hilflosenentschädigung dafür erhalten. Herr S. hat sich dafür eingesetzt, dass wir für Danyar die volle Hilflosenentschädigung erhalten. Dafür sind wir sehr dankbar», sagt Redar. Danyar, der in seinen Armen liegt, lächelt mit geschlossenen Augen.

Danyar und sein Vater vor alten Bildaufnahmen

«Ich bräuchte zwei Arme mehr, um jedem meiner Kinder gerecht zu werden.»

Sanela, Mami von Danyar

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